erstellt am: 23 Jun, 2020 | Kategorie(n): BAG Allgemein

Stellungnahme Netzwerk Frauen im Fußball F_in:

Freispruch in 2. Instanz im Falle der mutmaßlichen Vergewaltigung in einem Gladbacher Sonderzug

Ungewollte sexuelle Handlungen können Leben zerstören.

2018 gab eine Frau bei der Polizei an, in der Toilette eines Fanzuges vergewaltigt worden zu sein. Schon damals hat das F_in Netzwerk Stellung dazu bezogen und darauf hingewiesen, wie gängig verschiedene Formen sexualisierter Gewalt im Fußball sind und dass es Veränderungen bedarf.
Was ist seither passiert? Zunächst wurde der Angeklagte 2019 für schuldig gesprochen und zu einer Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten wegen Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung (gegen eine andere Person) verurteilt. Er war bereits für weitere Gewaltdelikte sowie eine Vergewaltigung vorbestraft. Nun wurde das Urteil in der zweiten Instanz zurückgenommen und der Mann freigesprochen. Der Grund: Nach Ansicht der Strafkammer war für den Mann nicht ersichtlich, dass die Frau keinen Sex wollte.

Wir. Sind. Fassungslos.

Wir sind keine Juristinnen, wir sind Fußballfans. Und wir sind Frauen. Wir leben in dieser Welt, waren schon in Stadien und Sonderzügen und haben unsere Erfahrungen gemacht. Die „in dubio pro reo“ und „So ist das nunmal in unserem Rechtssystem“ – Kommentare kann sich jede*r sparen. Zwar ist das Urteil noch nicht rechtskräftig und die Staatsanwaltschaft hat bereits Revision eingelegt, es geht aber um das Signal, das dieser Fall für alle Frauen sendet und um die Konsequenzen. Auch wenn das Sexualstrafrecht erneuert wurde, nun ein „Nein heißt Nein“ und nicht mehr nur körperliche Gegenwehr als Basis genommen wird, scheint es in diesem Fall nicht ausgereicht zu haben, Nein zu sagen. Ohnehin ist es schwierig, solche Fälle überhaupt anzuzeigen. Aus Scham, aus Kraftlosigkeit, aus Angst, aus Schuldgefühlen, alleine weil erneute Aussagen retraumatisierend sein können und die Prozedur alles andere als leicht ist.

Dass die Betroffene mit dem Angeklagten geflirtet hat, ist nach wie vor keine Einladung, im nächsten Moment sexuell intim zu werden und weist ihr die Schuld für das Geschehene zu. Ihrer Aussage nach hat sie “Nein” gesagt und diesen weiteren Schritt nicht gehen wollen. Wir glauben ihr und müssen betonen: Auch wenn man nicht in der Lage ist, klar und deutlich Nein zu sagen, weil solche Situation extrem überfordernd oder lähmend sein können, ist Konsens verdammt wichtig!

Es müssen endlich alle kapieren, dass gefragt werden muss, bevor es weitergeht, man sensibel für eine Situation sein sollte und nicht nur den eigenen Willen im Kopf haben kann. Auch nicht bei 3,0 Promille, auch nicht, wenn es vorher noch voll nett war. Wenn man sich so sicher ist, dass das gerade alles einvernehmlich ist, hat man bei einer Frage nichts zu verlieren. Und wenn doch ein “Nein” kommt oder sich etwas komisch anfühlt, heißt es nun mal “Stopp”! Allen, die jetzt sagen: „Macht’s mal nicht so umständlich und unsexy, das zerstört die ganze Stimmung“, kann man nur antworten: Wisst ihr, was nicht nur die Stimmung, sondern ganze Leben zerstören kann? Ungewollte sexuelle Handlungen.

Wie geht’s weiter? Eine zukunftsweisende Idee kommt aus Schweden. Dort wurde das Sexualstrafrecht 2018 bereits entsprechend angepasst. Aus „Nein heißt Nein“ wird “nur Ja heißt Ja“. Das Einwilligungsgesetz zur Zustimmung beim Sex trat am 1. Juli 2018 in Kraft und legt fest, dass beide Seiten ausdrücklich und klar erkennbar mit dem Geschlechtsverkehr einverstanden sein müssen. Alles andere wird im Zweifel als Vergewaltigung gewertet. So wird verhindert, dass Passivität als stilles Einverständnis interpretiert werden kann.

Seit unserer ersten Stellungnahme zu diesem Thema, ist der Ball ins Rollen geraten. Es hat sich ein Netzwerk gegründet, das einen Handlungsleitfaden zum Umgang mit sexualisierter Gewalt und Sexismus im Fußball geschrieben hat. Einige Vereine der ersten Ligen haben bereits reagiert und Anlaufstellen sowie Ansprechpersonen installiert oder Konzepte erarbeitet. Dieses Engagement muss fortgesetzt werden. Vor allem wenn sich unser Rechtssystem im Umgang mit sexualisierter Gewalt so überfordert präsentiert wie im vorliegenden Fall ist es wichtig, dass wir in den Fanszenen, den Vereinen, den Verbänden und auch überall sonst anders mit Betroffenen umgehen. Wir müssen von klein auf lernen, wie Konsens funktioniert und verstehen, wie unabdingbar es ist, Betroffenen zu glauben, sie zu unterstützen, zu stärken und sexualisierter Gewalt auf allen Ebenen entgegenzutreten. Im Verein, im Sonderzug, im Stadion und auch im eigenen Bett.

Wir wünschen der Frau, die den Mut hatte, diesen Vorfall anzuzeigen, alles Gute und stehen hinter ihr!

F_in im Juni 2020

Das Netzwerk F_in – Frauen im Fußball gibt es seit 2004, es verbindet seitdem weibliche Fußballfans, Journalistinnen, Spielerinnen und Fanprojektlerinnen aus dem deutschsprachi-gen Raum und fungiert seither als Interessenvertretung sowie wichtiges Sprachorgan für viele weibliche Fußballfans.

Kontakt: info@fin.org


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